Nach unserer Rückkehr aus den Yungas fahren wir zu unserem Hotel im Stadtteil El Alto von La Paz. Der liegt auf 4100 Meter Höhe und hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Eine eigene Stadt in der Großstadt. Für uns deshalb interessant, weil das Hotel ganz in der Nähe des Flughafens von La Paz liegt und wir am nächsten Morgen von dort den Flieger nach Rurrenabaque („Rurre“) nehmen wollen. Aber alles kommt anders…
Wir sind pünktlich am Flughafen und erfahren, dass unser Flug verschoben wurde, weil die Wetterbedingungen in Rurre (starker Regen/Nebel) keinen Start und keine Landung erlauben. Also warten… Und gegen Mittag dann die Mitteilung, dass die Situation unverändert ist und wir uns weiter in Geduld üben müssen. Kurz nach 14.00 Uhr wird der Flug dann endgültig abgesagt und wir werden auf den kommenden Tag vertröstet. Wir holen unser Gepäck und treffen auf ein polnisches Pärchen, welches genau wie wir von der Absage betroffen ist und nun nicht genau weiß, was sie tun sollen. Erschwerend kommt hinzu, dass eine Art Generalstreik von Bürgervereinen den kompletten Nahverkehr lähmt. Alle Zufahrtsstraßen aus der City nach El Alto sind blockiert. Es wird gegen die Verschärfung eines Baugesetzes demonstriert. Jeder muss/soll zukünftig eine hohe Strafe zahlen, wenn er seine Bauvorhaben nicht vorab anmeldet. Üblich ist bisher einfach (irgendwie) zu bauen und es dann (irgendwann) bei der Stadt anzumelden. Den Wildwuchs kann man überall bewundern… Die Telefericos sind die einzige Möglichkeit, um zwischen Unter- und Oberstadt voranzukommen. Alles sehr mühsam, aber die Menschen gehen damit sehr gelassen um, zumal angeblich jede Woche irgendwer streikt!
Wir fahren also zurück zu unserem Hotel in El Alto und nehmen das polnische Paar mit. Anschließend fahren wir zu unserer Reiseagentur und ändern unsere Tourpläne. Am nächsten Morgen sind wir für die erste Maschine gebucht und erleben noch einmal dasselbe! Wegen schlechtem Wetter in Rurre wird der Start verschoben. Wir treffen im Abflugbereich auf mehrere Mitreisende, die auch bereits gestern mit uns gewartet haben. Die Wetterdaten werden online abgerufen, angeblich bessert sich das Wetter … es wird viel spekuliert und gehofft. Gegen Mittag dann die Nachricht, dass der Flug startet! Zur Boardingzeit passiert dann aber nichts… Jetzt fange ich ernsthaft an, über einen Plan B nachzudenken, aber dann: der Flug wird aufgerufen und wir starten Richtung Rurre. Bei sonnigem Wetter haben wir zunächst eine tolle Sicht auf die schneebedeckten Andengipfel, dann wird es zunehmend wolkiger je weiter wir Richtung Amazonas kommen. Nach gut 40 Minuten landen wir mitten im Dschungel. Es ist unglaublich! Grün, Grün, Grün… hohe Luftfeuchtigkeit, Wärme und ein faszinierendes Vogelgezwitscher. Wir haben einen Tag zum Eingewöhnen und schlendern durch die kleine Stadt am Rio Beni. An einem Kunstgewerbeladen werden wir auf Deutsch von einem älteren Herren begrüßt. Wir kommen ins Gespräch und erfahren, dass er in den 1960er Jahren für zwei Jahre in Hannover bei der Üstra gearbeitet hat. Dann hat er seine (bolivianische) Frau kennengelernt und weil sie nicht in Deutschland bleiben wollte, sind sie nach Bolivien zurückgekehrt. Er schwärmt immer noch von Hannover und seinen freundlichen Kollegen dort! Schönes Erlebnis, klein ist die Welt…
Am nächsten Morgen werden wir von unserem Touranbieter abgeholt und die Reise beginnt. Zunächst geht es mit einem kleinen Motorboot ein kleines Stück flußaufwärts, wir halten an einem kleinen Steg und steigen bei einer Bananen- und Zuckerrohrplantage aus. Ganz in der Nähe steht eine Presse mit der frischer Zuckerrohrsaft hergestellt werden kann. Wir bekommen eine Demonstration davon und dürfen auch gleich mithelfen. Das Ergebnis ist echt lecker und wird noch besser, wenn man etwas frischen Limettensaft hinzufügt. Hier in der Gegend wird der Saft auf jedem Markt verkauft und ist bei den Kunden sehr gefragt.
Wieder im Boot passieren wir dann bald den Zugang zum Madidi-Nationalpark und nach einer weiteren Stunde landen wir in unserer Urwaldlodge. Im Dschungel! Es ist toll, bezaubert und doch auch Respekt einflößend. Zur Stärkung bekommen wir ein leckeres Mittagessen und dann geht es auch schon los zur ersten Erkundungstour. Schweißtreibend, mückenumschwärmt und soooo spannend. Unser Guide Domingo erzählt so kundig und zeigt uns so viele Bäume, Planzen und Tiere, dass wir immer wieder staunend innehalten. Unterwegs werden uns auch Termiten als Proteinstärkung angeboten… unser Guide macht es vor: das Nest mit dem Messer ankratzen, Zunge darunter halten und schon laufen die Tierchen direkt in den Mund! Er findet es lecker, ich lehne dankend ab. Was Domingo in diesem dichten Grün (Sichtweite geschätzt ca. 2 Meter) so alles entdeckt und hört ist phänomenal. Zur Abenddämmerung sind wir wieder zurück in der Lodge, wir werden noch auf das Nest einer Tarantel aufmerksam gemacht, was sich ganz in der Nähe unserer Hütte befindet. Die Tarantel hat sich bequem in einer Bananenstaude eingerichtet und kommt abends heraus, um Beute zu machen. Ich wusste nicht, dass diese Spinnen so groß sind! In jedem Fall stopfe ich unser Moskitonetz sehr sorgfältig unter die Matratze.
An unserem zweiten Tag machen wir uns auf zu einem Zelt-Camp im Dschungel. Da es die Tage vorher geregnet hat, ist es teilweise sehr matschig und glitschig auf den Wegen. Aber hier gilt: der Weg ist das Ziel! Wir haben Glück und können eine Klammeraffen-Familie beobachten. Hoch oben in den Wipfeln der Bäume springen sie von Ast zu Ast und bewerfen – ich will glauben unabsichtlich – die staunenden Zuschauer am Boden mit den Resten ihrer Nahrung. Nach dreieinhalb Stunden kommen wir am Zeltlager an und freuen uns, dass wir nicht auf dem Boden schlafen müssen – kurz vorher hatten wir gerade etwas über aggressive Killerameisen gelernt- , sondern auf einer Art überdachter Tischkonstruktion mit Moskitonetz. Die Waschgelegenheit ist am nahe gelegenen Flüsschen und die Toilette befindet sich 50 Meter entfernt im Wald und erweist sich als Freiluft-Plumpsklo mit Toilettenschüssel, allerdings mit Moskitoschutz rundherum. Sehr rustikal!
Nachmittags brechen wir zu einer weiteren Erkundungstour auf. Unser Ziel ist eine Felswand, in der zahlreiche Papageien ihre Nester haben. Von einem Aussichtsturm können wir sie sehr schön beobachten. Heiko ist trotzdem ein wenig enttäuscht, weil wir nur die Spuren von einem Tapir und Jaguar finden, nicht aber die Tiere selbst sehen. Abendessen gibt es dann bei Kerzenschein – faszinierend, was der Koch auf zwei Grillkohleflächen so zaubert – und Dschungelgeräuschkulisse, anschließend krabbeln wir in unsere Schlafsäcke. Und trotz allem haben wir eine gute Nacht! Früh morgens noch im Dunkeln weckt uns unser Guide zum Tiere beobachten. Also Stirnlampen rausgeholt und losgelaufen und wieder staunen über diese unglaubliche Vielfalt hier. Dann Frühstück und anschließend Sachen packen und abwärts zum Fluss gelaufen. Wir wollen per selbstgebauten Floß zurück zur Lodge fahren. Einzelne Balsaholz-Stämme werden mit einem Strick zusammengebunden und innerhalb kürzester Zeit ist ein tragfähiges schwimmendes Etwas entstanden! Ich verzichte auf diesen Spaß, da ich das Paddel nur schlecht halten kann. Irgendein fieses Insekt hatte mich in die linke Hand gestochen, so dass sie mächtig angeschwollen war und das Antiallergikum hatte leider noch nicht gewirkt. Die anderen haben viel Spaß und Heiko nutzt die Gelegenheit, bei einer tieferen Stelle im Fluss zu baden…
Ganz früh am nächsten Morgen geht es mit dem Boot zurück nach Rurre, dort steigen wir um in ein Auto, was uns ca. 100 Kilometer entfernt nach Santa Rosa bringt. Dort beginnt die Pampas-Landschaft am Fluss Yacuma. Inmitten der sonst eher steppigen Landschaft (hier wird Rinderzucht betrieben) umgibt den Fluss ein üppiges Grün, der Lebensraum für unzählige Tiere ist. Faultiere, Störche, Flussdelphine, Kaimane, Anacondas, Kapuzineraffen, Tukane… es ist unglaublich! Am Ende der halbwegs befestigten Straße holt uns ein Boot ab und bringt uns zu unserer Lodge. Auch dies ist ein schöner Ort, an dem wir uns sehr willkommen fühlen. Am Nachmittag steht zunächst Baden im Fluss auf dem Programm und zwar dort, wo sich auch die für diese Gegend berühmten rosa Flussdelphine tummeln. Auf unserem Weg dorthin können wir kurz vorher ein prächtiges Exemplar (ca. 4m)eines Kaimanns bewundern, der sich ein sonniges Plätzchen gesucht hat. Nach dem Badevergnügen fahren wir ein kleines Stückchen weiter und machen dann einen erneuten Halt um Pirañas zu angeln. Unser Guide hat frisches Rindfleisch dabei, was in kleinen Stückchen auf die Angelhaken gespießt wird. Ich bin ja schon ein bisschen skeptisch, ob das gelingen kann? Aber weit gefehlt, kaum hängen die Haken im Wasser, zerrt und zappelt es an den Leinen. Allerdings bedeutet das nicht automatisch, dass ein Fisch tatsächlich angebissen hat. Es gehört auch eine spezielle Technik dazu (wenn sich die Leine bewegt, ganz schnell und heftig die Schnur nach oben reißen, damit der Haken sich verfängt), um erfolgreich zu sein. Mir gelingt es genau einmal nach unzähligen Versuchen – und weil der Fisch noch klein ist, wird er wieder ausgesetzt- das Rindfleisch ist am Ende aufgebraucht. Einzig unser Guide hat viel Glück. Er angelt drei Pirañas, die wir dann zum Abendbrot serviert bekommen! Sie schmecken gar nicht schlecht.
Zum Sonnenuntergang halten wir an einer sehr schön gelegenen Stelle, die einen weiten Blick in die Landschaft ermöglicht. Ganz in der Nähe hat es sich ein Capybara (Wasserschwein) auf dem Weg gemütlich gemacht und lässt sich auch nicht stören. In der einsetzenden Dämmerung geht es zurück zur Lodge, dabei können wir im Lichte der starken Taschenlampen die rot funkelnden Augen der Kaimane erkennen, die unter der Uferbeflanzung auf Beute lauern. Das ist schon ein bisschen unheimlich.
An unserem letzten Tag in den Pampas schlägt dann das Wetter um. Wolken ziehen auf und ein frischer Wind bläst über den Fluss, es sind nur noch 15 Grad, die Hälfte dessen, was wir sonst hatten! Für diese Jahreszeit (es ist Winter) ist das nichts Ungewöhnliches wie uns versichert wird. Trotzdem gewöhnungsbedürftig, Kälte im Dschungel?! Und doch so faszinierend. Diese Tour hat sich wirklich gelohnt!!!!
Wir kehren am Nachmittag nach Rurre zurück und am nächsten Tag geht es planmäßig mit dem Flieger (eine kleine Minimaschine mit 18 Plätzen, in der es zeitweise mächtig ruckelt) zurück nach La Paz.